Baltic Kitchen

Newcastle

Hier ist alles „baltic“. Bin gerade im Fuß eines sechstöckigen Backsteingebäudes direkt am Tyne, an den Quais, wie das hier heißt. Früher lagen die Schiffe wohl bis hier rauf in die Stadt. Zum Meer runter sind es ca 10 km, das gab mein Tacho her.  L1010990

„Baltic Flour Mills“, Baltic Mehlmühle, steht auf dem Gebäude, ist aber zu einem Ausstellungsgebäude umgebaut. Ich sitze in der Baltic Kitchen in Paterre, warte auf einen Sandwich. Weil die Kellnerin so nett gefragt, ob sie etwas für mich tun könnte, habe ich noch einen Sandwich geordert, worauf sie wiederum ganz erstaunt war.

Ich hab schon wieder Stress. Spätestens bis 3 Uhr soll ich unten um Hafen sein; vor ein paar ein paar Stunden sah es noch ganz anders aus……

 

Schon wieder Kulissenwechsel. Das oben ist vor ca. 3 Stunden geschrieben worden. Ich bin jetzt auf dem Schiff nach Amsterdam bzw. Ijmuiden. Es soll in einer Viertelstunde ablegen. Gestern kam ich um die Uhrzeit gerade mit dem Fahrrad vom Küstenradweg, die Mündung vom Tyne hoch und hörte ein Schiff tuten. Ich hatte mich vertan. Das Schiff fährt nicht eine Stunde später, sondern eine Stunde früher nach britscher Zeit. Die Flut macht sich nichts aus den verschiedenen Uhrzeiten, ich schätze, dass sich an ihr der Abfahrtszeitpunkt orientiert, oder an der Fahrzeit. Meine Uhr jedenfalls habe ich schon wieder umgestellt.

Als ich im Frühling nach Portugal geradelt bin mußte ich wesentlich weiter und wirklich nach Westen fahren, um die Uhr eine Stunde zurück drehen zu müssen.

Ja, eigentlich wollte ich gestern abend schon wieder auf dem Schiff sein. Ja, es gondelte majestätisch, so wie nur Schiffe …..yea „anchor is away“ nein so heißt das „anchors aweigh“, wie der tune wohl heißt, wird gespielt, das Schiff rappelt, als wenn jemand die „Kupplung nicht richtig kommen lassen würde“, was wohl durch die Seitenschrauben kommt, die das Schiff vom Kai verdrücken, wir stechen in See, erst mal in den Fluss, es geht los……..gestern gondelte das Schiff majestätisch, so wie nur Schiffe als technische Errungenschaft und wie behäbige, gutmütige Viecher mit aller Zeit der Welt aus einem Hafen laufen können.

Hatte schon gedacht, dass es nicht klappt, hatte mich „vorbereitet“, dann „schaust Du Dir halt Newcastle noch mal richtig an!“; aber, ja aber.

Enttäuschung wird immer wieder als Gefühl bezeichnet. Es ist aber ein Gedanke! Was gab es hier zu fühlen? Klar, alles war irrational. Ich hatte nicht richtig „geplant“. Ich hätte mehr Asphalt an der Küste fahren müssen. Ich hätte mir die genaue Abfahrtszeit heraussuchen sollen. Ich hätte ohne Frühstück um 6 Uhr in Lindisfarne losfahren müssen…….

L1010994Genau das wollte ich aber nicht. Ich wollte die schönen Wege durch den Schlamm, fahren, die Berge rauf und runter, nicht auf der A-Road….Ich wollte alles, auch immer wieder absteigen und Fotos machen. L1010993Was ist daran Gefühl, wenn man alles will und nur einen Teil kriegt; warum ist der Entäuschte immer noch jemand, der unser Mitgefühl erregt, in dem Sinne, als wenn ihm ein Leid widerfahren wäre?

Ich fuhr denselben Weg am Tyne entlang, wie ich ihn schon am Dienstag früh vor einer Woche nach Newcastle gefahren war. Äh, das schon wieder, da schon wieder hoch, die Radwegumleitung…! Was war das für eine Miesepeterei, nur weil Wendel gerade mal nicht weiter gekommen war, zumindestens so nicht, wie er sich das vorgestellt hatte.

Grundgefühle sind: Angst, Agression, Trauer, Freude, Ekel und noch etwas, was ich vergessen habe. Gefühle sind ursprünglich Handlungsanweisungen, wenn man keine Zeit hat zum Nachdenken hat. Aber der Ekel vor dem Radweg z.B. war nicht durch ihn selbst begründet, sondern durch meine Situation, mein Gefühl war ein Gespinst und keine Reaktion auf meine Umwelt….

So wie ich da auf dem Radweg, ein ent-täuschter, ein von der Täuschung erlöster, keine Erlösung fühlte, sondern einen Ekel vor „nicht gewolltem“, so sind die Menschen, glaube ich, häufig. Immer ist es das andere, was nicht in den Film passt, dessen Drehbuch aber einfach schlecht geschrieben ist. Oder das Problem ist, das man überhaupt ein Drehbuch hat.

Gibt auch die, die eine tolle Roadmap im Kopf haben, die lange, viel zu lange klappt und nachher, behauptet ein ganzes Volk, es sei getäuscht worden und der Typ mit der Roadmap meint, das Volk sei doch nicht seiner wert gewesen, kurz bevor er sich die Kugel in den Kopf jagt. Ja, ja ist wieder ein Scheißvergleich, aber so läuft der Haase doch.

Was ich eigentlich nur sagen will ist: Gefühle sind nicht dummer als Gedanken. Das meißte was wir Gefühle nennen, ist nur das Unvermögen die Enttäuschung über die eigene Unvernunft zu ertragen und das ist ein Gedankenmanöver, das sich auf Gefühle projeziert. Vernunft kann sogar ein Gefühl sein. Es kann vernünftig sein, Angst gehabt zu haben. Gefühle werden oft die in sich produzierten Gespinste genannt, aber das, was sich dann anfühlt, ist ein Komplex, ein Gespinst, etwas total unklares.

Der Bursche, der mein Fahrrad also in der Dunkelheit nach Newcastle hineinfuhr, war sich all dessen bewußt und suchte in dem Kerl nach Ruhe.

„That the cheapest hotel you will find around here.“ Ein Gassigehender, der Angst um seinen kurzbeinigen Hund hatte, als ich mit dem Rad um die Ecke kam, frühzeitig aber bremste, zeigte mir den Weg zu einem ziemlich mitten in Newcastle liegenden Hotel.

An der Rezeption fragte ich dann, ob sie nicht einen günstigeren Raum hätten. Ich glaube dabei hatte ich eine ziemliche Fresse; die junge Frau an der Rezeption aber blieb freundlich, nicht einmal wehrhaft aufgesetzt, spürbar wohlmeinend freundlich, behauptete sie nur solche Zimmer zu haben.

Oh diese Freundlichkeit! Lebenserleichternde Maßnahme. Morgens, bei Lindisfarne hatte mich die Hotelchefin auch mit einem „very warm goodbye“ ein „pass auf Dich auf“ und „merry christmas“ auf die Piste gelassen.

Bei Amble einem village und keinem town, wie mich ein alter Mann aufklärte, klopfte mich dieser auf die Schulter, zog freundlich weiter. Genau so ein grauhaariger in einem Overall in Haddington, bevor es in die Lammermuirs ging; er brachte mich zum Fahrradhändler, weil ich einfach nicht kapieren wollte, wie er mir den Weg erklärte.

Eben noch, als ich anfing zu tippen, in den „Baltic Flour Mills“, die wohl lang schon kein Mehl mehr mahlen, fragte mich die Kellnerin nach einem Sandwich und einem Tee, ob sie noch etwas für mich tun könnte.

„Ja, noch’n Sandwich!“

Da war sie erstaunt.

„Zum mitnehmen?“

„Hier essen, bitte!“

Da stellte ich die Freundlichkeit in Frage. Was brachte sie aus dem Konzept? L1010989

 

Ja und die Kunst da? Besser selber angucken. Die Ausstellungen wechseln wohl auch ständig. Ach ja, die waren auch an der Information unglaublich nett. Mein Fahrrad, für das ich nur ein einfaches Schloss dabei hatte, durfte ich in eine Abstellkammer schieben; einmal durch die Vorhalle von einer Kunsthalle, hinten rum, wo eigentlich nur der „stuff“ hin darf. Besser veröffentlicht man so etwas nicht, aber soll ja nur zeigen, wie engagiert freundlich die sind. Einfach toll!

Dabei hätte ich das Rad sogar im Hotel lassen können, dort übrigens im „back office“, nachdem es die Nacht über mit im Zimmer war. Hatten die mir so vorgeschlagen: Nen echter Cowboy schläft halt auch bei seinem Pferd, bloß nicht im Stall, sondern eher im Saloon, was es bei Luky Luke bestimmt so gibt.

 

Nachdem ich so um 10 morgens in der „Laing Gallery“, die mehr die alten Schinken beherbergt, aber auch eine berauschende Installation einer ausgestopften, durch, an Fäden hängenden Löwenzahnsamen fliegenden Möwe  http://www.twmuseums.org.uk/laing-art-gallery/whats-on/exhibitions/gone-with-the-wind.html in der ersten Etage zeigt, gewesen war, ging ich in die öffentliche Bibliothek, viel größer und großzügiger, als ich es z.B aus Bonn kenne. Ein Saal war voll gut besetzter Internetplätze. Eine Dame kam auf mich zu, bereit mir zu helfen; während ich ihr erklärte, dass ich nicht „von hier sei“, was sie bestimmt schon gemerkt hatte, lockte sie einen Computer ein: Bitte setzen, kostet nix. Die Museen übrigens auch nicht. Mit Schrecken stellte ich fest, dass auf der Webseite, die Überfahrt mit der Fähre nicht mehr buchbar war. Verdammt.

Ich versuchte mit dem Handy bei der Fährgesellschaft anzurufen; die Nummer existiert nicht…… Kann an dem komischen Vertrag liegen…..ich muß das jetzt klären….ich fahre zum Hafen runter. Das war so um 11 Uhr. Also zum Hotel, wo mein Fahrrad und mein Gepäck liegt. Keine Telefonzelle auf dem viertelstündigen Weg dahin. Die Empfangsdame ist dieselbe wie heute Morgen. Ob denn alles in Ordnung sei. Ich schilder ihr mein Problem, sie stellt mir ein Telefon auf die Theke. Jetzt funktioniert die Nummer. Bestimmt viermal irgendwelche Nummern drücken. Dann habe ich eine Dame dran. „How can I help you!“ Doch, ich muß nur um 15 Uhr spätestens am Hafen sein. Puh. Aber das Fahrrad ist schon aus dem Backoffice geholt und zurück ist mir wieder zu peinlich……..

Vor ein paar Wochen ist mir ein älterer Mann in Bonn mit einem bepackten Fahrrad begegnet; er fragte mich nach einem Hotel, war sichtlich geschafft. Ich hatte Zeit und wollte ihm den Weg zeigen, er wollte das nicht.

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