Over and Dover

Bin gerade auf der Fähre von Calais nach Dover, aber das Unmittelbare ist hier nicht möglich: Kein Internet.
Wo fang ich an? Gestern? Gestern habe ich mich zwar gemeldet, aber da waren keine Erfolgsmeldungen dabei, keine Leistungsanzeigen, nix von all dem.
Schon wieder waren es über 190 km, genau 192, von Leuven bis nach Dünkirchen bzw. von Löwen bis nach Dunkerque, ganz wie man es will, ganz so wie es korrekt erscheinen mag.
Und da ist auch schon jemand, den ich immer wieder auf der Tour antreffe: Meinen inneren Klugscheißer. Der innere Klugscheißer ist hierarchisch über dem inneren Schweinehung anzusiedeln, im Grunde hat er den inneren Schweinehund erfunden.
Egal. Doch, doch nicht egal.
Nach Gent, diese verdammt schönen, fast schon zu schön scheinenden, kullissenhafte Stadt, gings nicht, mehr auf Nationalstrassen flandrisch rauf und runter, sondern flach auf kleinen, ständig meandrierenden Sträßchen, herrlich durch die Flachlandschaft.

Jpeg

Jpeg


Wo der Kugscheißer ist? Im „Meandrieren“. Das Wort wird von einem Fluss hergeleitet, der sich besonders stark durch die Landschaft geschlängelt hat und ist so als Begriff in die Limnologie eingegegangen. Limnologie? Ha, Flusskunde…..Ha Ballaballa. Wie ich drauf komme? Neulich sagte ein Kunde zu mir am Telefon zwecks Terminvereinbarung, er würde noch ein wenig „durch die Gegend“ meandrieren. Er ist Mathematiker und ich wüßte gerne, welche Nuance dieser Begriff bei ihm hat.
Das Wort aber blockierte meine ganze Wahrnehmung, während ich mich herrlich durchs Flachland schlängelte.

In dieser Landschaft mußte ich mir etwas zu Essen besorgen, schob mein Rad in einen Supermarkt und die Kassiererin, wehrte mich zuerst ab, sah aber mein sorgenvolles „oh mein Fahrrad“ und erlaubte mir das Rad vorne an der Kasse abzustellen.
Ob ich allein unterwegs sei, von wo ich komme usw. Und ich? Muffig. Warum? Es war das unausgesprochene „Allein geht gaarnich“, was sie aber höchstwahrscheinlich gar nicht meinte. Ich sage zwar, dass man in Europa überall nette Leute trifft, aber das mit einer Hackfresse und die war noch so superfreunlich gewesen….Irgendwann bekam ich die Kurve. Ich persönlich stehe auf auftauende Muffköpfe, trotzdem tuts mir leid, ihre Freundlichkeit anfänglich so gewechselt zu haben.
Der innere Klugscheißer, könnte jetzt sogar eine schneidende Formulierung für dieses „Versagen“ finden, aber „I am, what I am“, was nicht stimmt: Ich sind immer viele, ist ja ne olle Kamelle.
Das ist das eigentliche Thema für mich. Wenn ich jetzt beschreibe und mir irgendetwas vornehme, als Objekt habe also, also meine objektiv zu sein, wenn ich zum Beispiel „den Engländer“ nehme, oder wenn ich nur ansatzweise die Männer, mit dunkler Hautfarbe beschreibe, die überall in der Nähe vom Hafen in Calais sich aufhalten, immer ist es Quatsch, immer Müll, fern vom Erleben, kalter Kaffee: Das Ich und die anderen.
Wenn ich die Historie von irgendetwas aufbereite, immer hat es ein Färbung, einen Haufen Wertung oder Politik, immer ist das „Storytelling“ nix weiter als Zeitvertreib, der Fingerzeig auf den „anderen“, immer ist das „Immer die andern, wie soll es anders sein“ ein wunderbarer Songtext von der Kleingeldprinzessin Dota…Kehr

Ankunft in Dünkirchen

Ankunft in Dünkirchen

Die Lautsprecherdurchsage kommt: Die Duty Free Shops schließen. Die Kaffefahrt ist vorbei und wann erreichen wir Dover?
Die Männer an der Bar sprechen Cockney, glaube ich, in jedem Satz ist ein „Boing“ oder „oing“. Mir hat mal jemand erzählt, dass Alfred, der Butler von Batman, ganz wunderbar im Originalfilm Cockney, den Dialekt in und um London, spricht. Wie heißt der Schauspieler? Sir…..oder ist er noch nicht Ritter geworden? Erhebung in den Ritterstand. Geil. Gibt’s sogar in Italien. Cavalliere della Republica. Berlusconi ist einer und Colnago, der Rennradhersteller. Endlich wir sind wieder beim Fahrrad angekommen. In England immer noch nicht.
Hoffentlich schaffe ich es bald, wie die Fotos, die durch ein noch so kleines Objektiv, aber eben eins, in mein Handy gekrochen sind, objektiv zu beschreiben, was ich erlebe; das wünscht sich der Konsument zu Hause, dafür schreibt man: Den Menschen vom Begegnen fernhalten und ihm die „anderen“ zu servieren.
Fortsetzung folgt: Auf „I am what I am“ folgt „I always love you“.

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Eine Antwort zu Over and Dover

  1. aas sagt:

    Hi Wendl, wie läuft denn das neue Rad?? Das Foto aus Dünkirchen gefällt mir sehr und erinnert mich, dass wir ja auch bald an der See sind (juchhuuu). Butler Alfred wurde in den letzten Verfilmungen übrigens gespielt von Michael Gough, Michael Cane und aktuell von Jeremy Irons – könnte den Klugscheißer interessieren, grüß ihn bitte herzlich! aas

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