Sligo

Wo fing der Tag heute an? Und er ist noch längst nicht zu Ende.
Weiß nicht, wie der Pub heißt, in dem ich gerade bin, aber sie haben auf Pop, nein, das ist schon etwas anderes, Independent?….würde zu den Wollmützen auf den Kopf habenden Typ hinter der Theke passen, aufgelegt.
Die Session ist vorbei.
Die Musiker brechen auf, der Raum wird leer, wird zu einer normalen Kneipe.
Die Musiker machen keinen homogenen Eindruck……..Au weia, jetzt läuft „Sweet Home Alabama“ der Guitarist geht, er sieht aus als, wenn er Zahnarzt wäre, er hat die gesamte Zeit über keinen Alkohol getrunken.
Wo ist der Akordeonspieler?

Er hat in den Pausen der Session, immer wieder Zigaretten gedreht ohne weg zu gehen; vielleicht raucht er sie jetzt alle auf.

Der Tag ist noch nicht zu Ende, aber wie soll ich ihn bis jetzt fassen?

Heute Morgen um 10 am Ortsrand von Donegal Town losgefahren. Hatte gestern abend vorm Dunkelwerden, nach fünf Versuchen noch eine B&B Bleibe bekommen und das Frühstück mit einer großen Gruppe von Menschen mit DDR Vergangenheit verbracht.
Eigentlich war ich der Ekelige: Habe mit meinen Fahrradheldentaten angegeben; ich weiß immer noch nicht, wie man einfach normal ist.

Der Akkordeonspieler ist wieder da. Ein Kern von Musikern sitzt an einem Tisch und ist am Quatschen. Selbst der Zahnarzt-Guitarist ist doch noch da.

Dann gefahren, also ich bin jetz wieder bei „Heute Morgen“…der Zahnarzt-Guitarist ist gerade gegangen…gegen den prickelnden Regen, der einem vom Gegenwind entgegen geblasen wird, auf der Strasse, der zweispurigen, die unendlich brutal von viel zu vielen Autos befahren, als Nationalstrasse den Verkehr von Donegal nach Sligo aushalten muß, aber meistens einen Randstreifen hat, auf dem man passabel Fahrradfahren kann, wenn man die vorbeirasenden Autos erträgt.
Die Zeit bis Ballyshannon, was nur knappe 20 km von Donegal Richtung Sligo entfernt ist, dachte ich an diese vorbereitete Zitaten-Collage.

„Ich empfand es als Blasphemie, als jemand in Deutschland zu mir sage: Die Strasse gehört dem Motor. In Irland war ich oft versucht zu sagen: Die Strasse gehört der Kuh. Tatsächlich werden in Irland die Kühe so frei zur Weide, wie die Kinder zur Schule geschickt; herdenweise nehmen sie die Strasse ein….“ aus Böll, Heinrich; Irisches Tagebuch, München 1963
“ Heinrich Böll hätte sein Irland nicht wieder erkannt S. 312….. 1986 gab es nur 750 000 private Autos in der Republik Irland, 1996 gab es mehr als 1 Million und 2007 waren es mehr als 2 Millionen S. 317………“ aus Maurer, Michael; Geschichte Irlands, Stuttgart 2013.

Ja, es ist Blasphemie. Als ich zum letzten Mal hier in Irland war, 1989, war der Autoverkehr, spürbar weniger; ist natürlich Ökoarroganz, wenn man das so ausspricht: Ein Land ist nicht dazu da irgenwelchen Touristen, die sich als Fahrradfahrer besonders vorkommen, zu gefallen.
Mir gefällt vor allem das weitsichtige Empfinden von Heinrich Böll. Die Verrohung der Strasse werfe ich auch keinem Land vor; sie ist ein Zeitphänomen, alltäglicher Irrsinn, wie Waffenhandel, Umweltverschmutzung etc.

In Ballyshannon, wollte ich eine „decent cup of tee“ haben, bekam einen Pappbecher in einem Shop, in dem ich mich aber nicht hinsetzen konnte. In einem mit Tankstelle kombinierten Einkaufsparadies gabs dann alles:
Eine super nette Frau hinter einer Essenstheke, die mir ein Sunday Roast mit Mash Potatoes und Erbsen und Möhrchen für einen erstaunlich günstigen Preis zusammenstellte und unheimlich interssiert an meiner Tour war (sie würde höchstwahrlich alles, was hier steht genau und geduldig nachlesen). Kaffe gabs und irgendwann, nennen wir ihn Reginald.

Ein Engländer, ein Grundschullehrer, ein Fahrradfahrer, der schon überall in der Welt mit dem Rad gewesen ist, nur nicht in Südamerika……dafür aber z.B mit einem Brompton von Mumbai nach New Dehli gefahren war, in Island auch, aber mit einem anderen Fahrrad, aber da ist furchtbar Fahrradfahren…….immerhin machte er mir das Kompliment, als wir uns in Sligo trennten, dass er schon lange nicht mehr, so schnell gefahren sei.

Total lustig: Er war interessiert an meiner kleinen digitalen Leica, erzählte mir von seiner Leica aus den 1930 Jahren und als ich dieses Foto

an der Straße nach Sligo

aufnahm zeigte er mir seine selbstgegbaute Lochkamera, sein kleines Fotolabor, er hatte wirklich Fotochemikalien in seinen Lowridertaschen dabei….
„Du bist wirklich das, was ich mir unter einem spleenigen Engländer vorgestellt hab.“ Er nahm das Kompliment gelassen, wie ein spleeniger Engländer halt.
Es war herrlich mit ihm – bei Regen und Gegenwind- und unsere Gespräche auf dem Fahrad und den zwei Kaffees, die wir miteinander getrunken haben, von Ballyshannon, wo übrigens Rory Gallagher geboren ist, bis nach Sligo, gingen über Sozialsysteme, Sabattjahre, Gesichtsmimik, Immigaration, die Königin, den Nordirland Konflikt……..nichts, über das wir nicht gesprochen hätten.

Jetzt gehe ich pinkeln und dann aus dem Pub in Sligo, dessen Namen ich nicht einmal weiß.

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