Wrong Camino

Auch wenn er anstrengend ist, die Pilger hatten schon früher den „Weg des geringsten Widerstands“ gewählt. Der Camino zieht einen hier in der Gegend magnetisch an und, um von Burgos aus in die Stadt Logrono hinein zu kommen, kommt man nicht einmal um den Wanderweg der Pilgerer herum; die Einfallsstrassen sind autotechnisch verplant, das hat mich schon einmal furchtbar aufgeregt.

Falsche Richtung: Wrong Camino

Falsche Richtung: Wrong Camino


Wie es sich gehört wünsche ich den entgegen kommenden Pilgernden einen „Buon Camino“. Ein junger Deutscher ging den Weg in die falsche Richtung, er hatte seine Sandale irgendwo vergessen, ich versprach sie ihm entgegen zu bringen, falls ich sie sehen würde, wurde aber nix draus, keine gesehen; jetzt fällt mir ein: Vielleicht war das die Sandale des Brian! Scheiß Zynismus, der Junge war ein wenig „desperate“, kenne ich von mir selber, hoffentlich hat er seine Sandale gefunden.
Gestern war ich auch „desperate“, verzweifelt, aber nur kurz.
Der zweite Platte hinten; in Canterburry, in England war es ein „Snakebite“, ein Felgendurchstoss auf den Schlauch gewesen und jetzt hatte sich das Felgenband so gelöst, dass der Luftdruck an einem Speichenloch den Schlauch perforiert hat. „Merda“ das Hochdruckfelgenband war total labrig, nicht mehr zu gebrauchen, irgend ein Klebeband hab ich nicht dabei, mal ehrlich, wer nimmt Felgenband mit auf eine Radour?
Die Verzweiflung währte nicht lange.
Anfang der neunziger Jahre hatte mein Vater sich einmal ein Stück Dickdarm entfernen lassen, und lebte damit nochmal zehn Jahre sehr gut. Als ich ihn kurz nach der OP im Krankenhaus besuchte, mußte er den harten Mann markieren und frug mich, ob ich mich erinnern könne, wie er erzählt hat, wie er in der Nachkriegszeit aus zwei Fahrradschläuchen einen gemacht hat.
„Das hat der Doktor jetzt bei mir gemacht, nur ohne Gummilösung!“ Das war der typische Ruhrgebietszynismus, mit dem ich groß geworden bin, aber hat’s geschadet?
Man kann Schlauch mit Schlauch flicken! Aus dem geplatzten Schlauch schnitt ich mir nach Versuchen mit dem Taschenmesser, dann mit dem Rasiermesser und schließlich glückend mit der Nagelschere ein Felgenband, das am zukünftigen Ventilloch beitseitig vulkanisierte und so verklebte. Das Ventilloch ließ sich mit der Ahle des Schweizermessers herstellen, den Gummi konnte ich großräumig mit dem Spiritus für den Kocher entfetten.
Mittlerweile hat der Hinterreifen wieder 100km mit 6 bar gehalten; peu a peu habe ich aber ein neues Felgenband und nen neuen Schlauch zusammengekauft. Hier hat nicht jeder Fahrradhändler alles.
War aber nicht so einfach wie es scheint. z.B. das Talkum vom Schlauch geht einem tierisch auf den Keks, es war immer noch so affenheiß, Mücken tanzten mir auf der Nase herum, Schatten hatte ich am Strassengraben unter einem Verkehrsschild, man muß aufpassen das aus dem Felgenband kein Möbiusband wird……
Der Vater, ein Ahne. Die alten Römer haben zu ihren Ahnen gebetet. Sprechen würde ich ganz gerne noch mal mit ihm.
Er wäre jetzt 87 Jahre alt. Wollte auch immer mal hier in die Gegend, sich die alten Kirchen angucken. Ich bin schon das 4. Mal in Logrono. Dafür war mein Vater zweimal in Japan und in USA.
Ich glaube er hätte die Geschichte gut gefunden: Ganz schnell von verzweifelt zu stolz. Das sind die wichtigen Geschichten, nicht die von wie weit, wie groß, wie lang, wie viel, sondern die vom Wie, die Geschichten vom gelösten Problem.

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