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Ich bin dann mal baden

Ich bin dann mal baden


Die Finger sind noch kalt. Fast fürchte ich, dass sie, wenn sie wieder warm sind, in eine Müdigkeit zurück fallen, die unangenehm-träge ist. So lande ich wieder bei der Frage, was wirklich gut, angenehm, was das „gute Leben“ ist.
Aber von vorne:
0:50 früh an Weiberfastnacht bin ich losgefahren mit meinem Fahrrad. Die Strassen waren leer.
„Die müssen sich für Weiberfastnacht ausschlafen“, dachte ich. Oft ist mehr los in der Nacht vor einem arbeitsfreien Tag.
Schon auf der Kennedybrücke fielen die ersten Tropfen, in Dransdorf prasselte der Regen, in Bornheim glänzte die Regenjacke nass im trockenen Strassenlaternenlicht.
Dann durch die Pampa rüber nach Bliesheim, aber über Asphalt. Ich hatte den „direkten Weg“ von Naviki.org korrigiert, aber übersehen:
Ein Stück muß ich am Ufer der Swist entlang über den aufgeweichten Lösboden schliddern (Lös mutmasse ich; habe ich in der Grundschule so gelernt, dass das Vorgebirge aus Lös besteht)
In Nörvenich ein Butterbrot und eine Tasse Kräutertee aus der Thermoskanne um 3 Uhr 23, das war die erste Pause.
Jetzt schwindet schon dier Erinnerung; wann kam Erfstadt?
Weit vor Nörvenich liegt Erfstadt, sehe ich gerade auf der Karte, Nachtfahrt halt, da kriege ich nicht soviel mit. Erftstadt fand ich bemerkenswert historisch-schick innendrin
Um 8:20 war ich am westlichsten Punkt Deutschlands, bei Sittard, dazwischen, noch einmal ein Viertelstundenpause mit heißen Tee und ein Trockenaprikosen, Bananen, Apfel und Haferpampe, die ich selbstgemacht und jedem Energieriegel vorziehen werde, echt jut.
Noch ne Pause habe ich unterschlagen, in einer Bäckerei in Geilenkirchen. Die Frau hinter der Theke war konstümiert, hatte aber auch großes Verständnis für solche Jecken wie mich:
„Jeben sie die Flasche schon her. Isch fahr selber Fahrrad, da werden Flaschen halt dreckisch. Isch füll ihnen die auf!“
Es sind nur wenige km, die ich durch die Niederlande fuhr, es ist fast das schmalste Stück Niederlande überhaupt, das man von Grenze zu Grenze fahren kann. Da fällt es besonders krass auf, wie die Bevorzugung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch die Grenzen eines Landes statt finden. Für mich spürbar ist es in den Niederlanden die Gruppe der Radfahrer. Das weiß natürlich jeder. Vielleicht bevorzugen die Niederlande einfach alle, den Autofahrern geht es auch nicht schlecht, mit dem separierten Fahrradverkehr….bloß ihre „natürliche“ Kraft des Stärkeren wird ein wenig mehr beschnitten als anderswo.
In Maaseik geht es über die Maas, schade, ich hätte gerne einen kleineren Weg über eine kleine Fähre weiter südlich genommen, aber die fährt im Winter nicht. (Da bin ich ein echter Bene(lux) Winterfahrradfahrer: Bei dem vielen Wasser immer bei der Routenplanung aufpassen; viele Fähren fahren winters nicht!)
Dann fängt es wieder an zu regnen, der Gegenwind wird stärker und stärker wird der Autoverkehr. Wenn überhaupt vorhanden, geht es auf schlechteren Radwegen weiter, mit belgischen Autofahrern, für die der Sicherheitsabstand zum Fahrradfahrer ein unnötiges Verkehrshindernis darstellt.
Der Landschaft ist nicht viel ab zugewinnen.
Ja, sage ich; los das ist die Möglichkeit, dich selbst beim Träumen zu erwischen.
Der Mann der nur zwei Stunden Schlaf am Tag zuvor gehabt hat, sehnt sich nach Gedankenlosigkeit. Aber sie tauchen immer wieder auf, Vorurteile, Stereotypen, Hirnschiß:
Der Belgier an und für sich, der Niederländer, die Tristheit der Landschaft, die Häßlichkeit der Architektur.
Am Albertkanal wird es immer nerviger; dieses Transitland, nur gut zum Durchfahren und um Ware dadurch zu transportieren. Der Radweg ist oft einfach durch Bauarbeiten einfach unterbrochen, wird schlecht umgeleitet. Der Radfahrer im Regen und Gegenwind fühlt sich mißhandelt und denkt dann, dass er es sich doch gar nicht anders vorgestellt hat; Gegenwind, mit nassem kalten Regen in einer Kanalwüstenschneise.
Jpeg

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Der Radfahrer wird zwanghaft und rechnet an den Kilometern und am Durchschnitt herum. Der Radfahrer denkt Ein- und Ausatmen, denkt, einfach nur treten……….
Scheiße; ich schreibe gerade in einer schön leeren Hinter-der-Düne-Restauration in Vrouwenpolder, Zeeland, NL und jetzt sind zwei deutsche Damen herein gekommen, die sich laut über die teuren Preise auf der Speisekarte unterhalten usw. jetzt sind sie gerade bei ihren eigene Kochrezepten, jetzt der Blutdruck, heute morgen 210…..

Ich am Albertkanal. Wie schon so oft geschrieben, den Wind kalt, mit Regen, voll in die Fresse und…..Treten, Rollen, Radfahren…..es klappt nicht,

…….jetzt unterhalten sich die beiden älteren Damen über Antibabypillen…..“ich habe bis 65 genommen“……“wie lange?“…“ich hatte meine Periode bis 65″……..“Au“, sagt die andere….

Aber die Erkenntnis vom Albertkanal ist: Ich will es immer wieder. Ich will die Widrigkeit, ich will den direkten Weg mit seinen Überraschungen, wenn es nicht die ausbleibende Fähre ist.
In der Perepherie von Antwerpen gebe ich dass Ziel auf, die Batterie ist leer, auch nach einer großen Pommes ist es klar; ich muß an Land gehen.

Der Navi sucht: „Unterkunft, alle Kategorien“. Das nächste ist das „City Hotel“, oder so ähnlich, ein häßliches 70zigerJahre Gebäude noch 4 km; der Navi routet mich dahin.
Ob ich mein Rad mit aufs Zimmer nehmen möchte? Tja, so sind die Belgier, ein Mann nimmt sein Fahrrad mit aufs Zimmer. Ich zeige meine verschlammten Schuhe, weise darauf hin, dass mein Fahrrad noch schmutziger ist und bekomme eine Chipkarte für die Tiefgarage.
Es ist 17:40 als ich den Navi ausmache, 228 km mit einem Schnitt von 18 km/h soll ich gefahren sein. Nicht schlecht, denke ich mir, mit dem Gepäck und den Widrigkeiten, denke ich nicht, denn ich bin komatös. Ich dusche nicht einmal. Ich kann den Rücken nicht richtig beugen. Aber ich habe einen Schlafanzug angezogen. Wache aber wieder auf, Wecker einstellen, Tee kochen, etwas trinken, weiter schlafen.

Jpeg

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Beim Frühstück, lauter Rheinländer. Karnevalsflüchtlinge? Von den Tischen schwappt der überbordene Humor zu mir herüber, aber er fühlt sich nicht schlimm an. Eine Dame beschwert sich über ihre Gatten, der die eine Bettdecke, die man sich teilen mußte, ganz für sich vereinahmte und dann gleichzeit im Doppelbett immer weiter „herüberkam“.

„Wat beschwärste Dich. Hästeja aussteijen und hinne wieder einsteijen künne.“ Und wie ein Karnevalstusch lacht der Herr als erster über seinen eigenen Witz.
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Im Nu bin ich an der Schelde. Der Navi weißt einen Track übers Wasser. Ich weiß hier ist der Sint Anna Tunnel, aber ich finde den Eingang nicht. Ich hätte nur einmal genau auf die Karte gucken müssen, aber ich frage lieber ein paar Leute.
„Take the escalator, not the lift! It’s a piece of history!“ und der Herr zeigt mir, wie ich den Lenker auf der Rolltreppe quer stellen soll.

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Wahnsinn! Ähnlich steil und lang wie in der Budapester U-Bahn führen hier zwei Rolltreppen aus Holz zu einem gut 500 m langen Tunnel unter der Schelde. Fahrrad auf der Rolltreppe. Das ist in Deutschland überall verboten, hier machen das alle. Lebe wild und gefährlich, geh nach Belgien, go West, über den westlichsten Punkt Deutschlands hinaus!
Jpeg

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Antwerpen ist auf der anderen Seite schnell vorbei, der Wind kommt weiterhin von vorne, manchmal von der Seite.
Die Bene(lux)grenze bemerke ich gar nicht, ging durch ein Wäldchen der Weg (und es ist wichtig sich die Wäldchen und Hecken zu merken, die so effizient den Wind abhalten, selbst, wenn sie kein Laub tragen).
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In einem Dorf liegt Konfetti auf der Strasse. Später erklärt mir jemand, dass das ein katholisches Dorf gewesen sein muß…….Niederlande, Belgien, 80jährige bzw. 30jähriger Krieg, was waren das noch für herrliche Zeiten, als man sich hier noch gegenseitig den Schädel wegen katholisch oder protestantisch eingeschlagen hat und nicht gegen die Entfremdung des Abendlandes etwas zu tun müssen glaubte.
Irgendwann will sich die rechnende Zwanghaftigkeit wieder einschleichen…..wann bin ich in Terneuzen, wie weit noch dann bis Breskens……
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Ein Hochseeschiff schwimmt auf dem Acker, das Land liegt tiefer als der Wasserspiegel vom Fluss, ein Damm hält das, bin ich schon unterm Meerespiegel? Das gibt es z.B. in Rotterdam.
In Terneuzen etwas essen, weiter.
Farbstudie

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An der Wartehalle der Fähre die bunten Sitze, mein Helm drauf, rot-grün Kontrast. Auf facebook interessiert das keinen, Ignoranten. Ne knappe Stunde noch bis zum Hotel in Domburg, wieder nur ein 18zehner Schnitt für die Strecke….egal.
Der Chef will mir drei Übernachtungen andrehen, Karnevalsflüchtlinge bekommen hier auch nur unter bestimmten Bedingungen Asyl (ich weiß, das ist nicht lustig) aber er dreht bei, läßt mich für zwei Übernachtungen rein, heute morgen hat er immer noch freie Zimmer. Win-Win-Situation, haben wir ja beide Glück gehabt.
„Du machst das heute, mit dem Nordseebad, sonst plärrst Du mir noch Wochen lang davon die Ohren voll; auch, wenn Du danach total krank bist!“
Am Telefon werde ich an meine eigentlich Mission erinnert.
„Mit dem Fahrrad zum Baden ans Meer!“
Bin mit dem Rad noch etwas zögerlich Richtung Nordosten auf der Halbinsel Walcheren gefahren; bei Vrouwenpolder kurzerhand zum Strand, Poncho über, Klamotten aus, Badehose an, schnell bis zu den Knien ins Meer, ein paar Leute schauen mir zu, gnadenlos, ach Scheiße, ich lasse mich in einen Liegestütz fallen das Meer rauscht über mich drüber; toll, so ist reines Dasein. Nicht kalt, nicht warm. Bin schon wieder raus aus dem Wasser, so kurz war ich noch nie baden. Ich dachte der Wind schneidet mich jetzt zu einem Eiswürfel, fühlt sich aber wärmer an als vorher. Trotzdem abtrocknen. Muß ich wieder öfter machen. Es ist nur dieser Kontakt mit dem Wasser. Nicht umsonst gibt es Taufen.
Danach bin ich dann zum Aufschreiben in eine Restauration. Da bin ich jetzt. Jetzt gerade. Eigentlich will ich nicht mehr, was gelogen ist, weil ich sonst das nicht aufschreiben würde.

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