Rückweg

Gibt einiges zu korrigieren, jetzt bei der Rückfahrt im Zug, vom letzten Eintrag, vom letzten Tag der Tour.
„Kraut für die Krauts“ ist natürlich Quatsch. Ein paar Stunden später, in Elmshorn, stellt sich in einem türkischen Imbis für mich die Frage, ob vielleicht, über Döner Kebab in Deutschland wesentlich mehr Weißkohl vertrieben wird, als über die Sauerkrautschine…..und die einzigen Farben im Grau des Friedrichskoog und später des Kronprinzenkoog, waren die Möhren die orange, wie gewaschen, in der dunklen, wohl sehr ergiebigen Ackererde lagen. Der Rotkohl war nur ein „changierender“ Ton, in der grauen Trostlosigkeit, der Grünkohl tat auch nicht viel, aber die Möhren blinkten regelrecht auf den Äckern.
Frag mich nur, ob die liegengeblieben waren oder ob das nur Stufe 1. der an der Strasse auf Schildern angezeigten „Hackfruchternte“ war.
Hacken habe ich keinen gesehen, aber schwere Trecker mit monströsen Reifen trieben tiefe Spurrillen, wie Flugfurchen zwischen die Kohlköpfe, in Holzkörben von Europallettengrundgröße wurde die Hackfrucht abtronsportiert und entsprechend, verschlammt war die Strasse.
Wo kommt die „Kraft“ für all diese starkzerenden Nutzpflanzen her? Chemie, Rieselfelder, oder ist das ehemalige Watt so unendlich fruchtbar?
Für einen Euro in die bereitgestellte Dose hätte ich mir einen Kohlkopf mitnehmen können.

Dann gibt es noch die apruppte Kneipenschließung zu erklären. Ich war vormittags am Meer, an der Spitze von Friedrichskoog, die Kneipe schloss um 11 Uhr, die anderen Läden waren geschlossen. Keine Ahnung, ob der Reformationstag in Dithmarschen ein so besonderer Feiertag ist, oder ob es gewisse Tage gibt, an denen man einfach nicht mit so viel Touristen rechnet.
Für meinen Geschmack wird die Bebauung an diesen Küstenstreifen, der Offenheit und Freiheit, die ich mit dem Meer assoziere nicht gerecht.

Dann hatte ich ein wenig Rückenwind, aber der Nordwester von den Vortagen hatte auf Südost gedreht und das war bei der bevorstehenden Temmelei nach Hamburg nicht besonders schön, da gings nach Südosten, richtigen Rückwind gab es nicht.

Ein kurzes Stück radelte ich auf der Deichkrone Richtung Brunsbüttel. Die Schafsscheisse, in der Mundart ?Safsßeiße?, flog mir um die Ohren. Alte Hammel mit pferdekopfgroßen Schädeln schauten mir malmend zu. Der Ausblick war herrlich da oben, trotz der Gräue und dem schlapp, strömenden Wassers.

Über den Nordsee-Ostseekanal mit der Fähre, später bei Brunsbüttel.
„Kostet das nichts?“
„Nö, das zahlt Kiel.“ klär mich ein Mitreisender auf.
Stimmt aber, glaube ich, auch nicht; der Nordsee-Ostseekanal ist eine Wasserstrasse des Bundes. Scheint eine von den wenigen Sachen zu sein, die der Bund noch zahlt. Vielleicht weil der ehemalige „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ ne ehemalige Reichssache ist. Muß mich informieren, aber gerade schreibe ich im Zug und es gibt kein Netz….

Auf dem Elberadweg kam ich mit dem Fahrrad in fiesen Schlick, der wohl vom Sturm oder von einem Hochwasser auf die Asphaltwege gelegt worden war. Zweimmal ätzend. Einmal war das Rad vollkommen versaut und die 30ziger Reifen drehten sich fast nicht mehr in den Schutzblechen und auf dem Schlick fährt man ähnlich gefährlich, wie auf Schneematsch. Ich machte mir Mut mit dem Spruch: „Da sag mir doch mal einer, Flussfahrradtourten seien langweilig.“

Schlammrad


In Glücksburg war eine Waschstrasse, die Vorreinigung reichte; ich hoffe, dass ich am Rad nichts kaputt gemacht habe. Die Hochdruckreiniger sind Gift für die Lager.

Beim Warten auf das Reinigungsgerät hört ich rheinischen Singsang.
„Schon 12 Jahre leben wir hier. Aber im Frühling geht es zurück, nach Düren.“
Der Mann schaut glücklich dabei.
Auf seinem Auto ist ein FCKöln Aufkleber.

Zwar nicht da geboren, aber im Bonner Raum aufgewachsen, bin ich nicht da weggekommen.

Zuerst liegt mir „Glückwunsch“ ein wenig zynisch auf den Lippen, für jemanden der sich freut nach Düren „zurück zukommen“. Aber dieser Zynismus reagiert vielleicht aus meiner eigenen Heimatlosigkeit.

Dann folgt eine Ödysse Richtung Elmshorn. Ich konnte meinen Navi mangels anderer Technik nicht richtig briefen und fahre mit dem Handy, für das ich keine Halterung am Lenker habe.
Stehe irgendwann vor einem Fluss. Naviki, das Portal für Fahrradfahrer, kennt die eingeschränkten, jahreszeitbedingten Fahrpläne von bestimmten Fähren nicht. Das war mir schon einmal in den Niederlanden passiert…..

Von Elmshorn geht dann noch einmal ein ganz leidlich markierter Radweg über Land und Einfamilienhausgebiet nach Pinneberg durchs Dunkle. Nach Hamburg geht es an großen Strassen entlang auf furchtbaren Radwegen, das macht nicht mehr son Spass.

Für meine Verhältnisse früh, mache ich um 19 Uhr in einem Hotel an der Kieler Strasse fest. Nach der Dusche gehe ich noch einmal um den Block, bin schockiert, über einen dermassen ausgestorbenen Großstadtabend mit einer Luftfeuchtigkeit von 1000 %. Kleine Wassertropfen prickeln durch die Luft, aber Prickeln ist kein gutes Wort, weil es nicht prickelig war.

Finde ein Kneipe, die Urknall heißt und den Stern der Anarchie im Schriftzug hat. Rot-Grün versifftes Publikum, würde einer von den neuen Faschos sagen. An der Wand hängt ein Plakat von einer DDR Jugend- und Studentenveranstaltung von 1973…..an der Theke eine ganze Reihe Männer die schräg zum Fernseher hoch ein Fussballspiel, Bayern gegen Glasgow sich anschauen, obgleich die Kneipe stark mit FC St.Pauli Devotionalien durchsetzt ist……man da kenne ich mich einfach nicht aus.
Ich versuche nicht zu beobachten, werde meißtens in solchen „Locations“ für einen nicht richtig Echten gehalten. Eigentlich ist mir die Szenen sympathisch, keine Ahnung, zu viel Spießer im Blut.
Zwei Bierchen verzischen in mir, schmeckt gut. Die Frau hinter der Theke bleibt natürlich freundlich, überhaupt sind se aller sehr freundlich in der Kneipe. In mir entsteht ein Dialog, was soll das, ein „DDR Plakat“ an der Wand, die guten alten Zeit usw….?
Dann mache ich es mir einfach, ist ja Reformationstag! Ist Satan aus der Welt, seit dem es die DDR nicht mehr gibt?
Ich habe es auf der christlichen Schiene leichter als auf der linken.
Das Böse, die Versuchung, der Satan ist ja schließlich auch einfacher zu handlen, als das Kapital.
Im Hotelzimmer zischen die Bierchen die nicht mehr geworden sind, nicht mehr, sondern sie drücken mich ein wenig auf die Matraze. Trotzdem, zu Hause habe ich das nicht, Fernsehen mit Fernbedienung.
Ein riesen Heer von weißbehemdeten Menschen, klatscht, tanzt und singt, im Stil der afroamerkanischen Babtisten, einen deutschen Text. Eckerhardt von Hirschhausen und Heinrich Bedford-Strohm drehen sich mit in der Menge, die Fernsehshow zum Reformationstag ist im Finale, eine Kameraführung und Choreografie die einen „inneren Kirchentag“ in mir auslösen.
Wie wird man nur das „Böse“ los? Ich schlafe ein.

lag auf’m Radweg

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