Im Zug

Ich verstehe die Leute hier im Herefordshire schlechter als in Irland. Woher der Schaffner kommt, weiss ich ja auch nicht. Er wollte nur wissen, wo ich hin will. Hätte sich ja die Fahrkarte anschauen können, die ich in der Hand hielt. Ihm ging’s um die richtige Verklappung des Fahrrads.

Gerade fährt der Zug los. Die haben hier ja keine Oberleitung, keinen Strom über den Schienen. In Pflichtkurs SoWi in den 80ziger Jahren hatte ich gelernt, dass in UK die Gewerkschaften so mächtig seien, dass, obgleich es schon lange keine Dampfloks mehr gab, die Trade Unions durchgedrückt hatten, dass auf jedem Zug ein Heizer mitfährt.
Das gibt es bestimmt nicht mehr.
Arriva heißt die Bahngesellschaft jetzt, British Rail sieht man nicht.
Reginald, der exzentrische Engländer mit der Lochkamera, hat mir auch irgendetwas erzählt, dass es um die Eisenbahn ein ganz schönes Desaster in UK sei, Privatisierung hin und her…..müßte ich recherchieren.

Da war eine Apfelbaumplantage. Das Herefordshire ist berühmt für seinen Cider, jetzt kommt Hopfen, goldenes Morgenlicht über der Landschaft.
Heute könnte man bestimmt gut ein paar Werbespots drehen.

Gestern abend habe ich noch eine Runde durch Hereford gedreht. ….

Ledbury, der Zug hält gerade in Ledbury.

Eine riesige Stadt ist es nicht und viel neu; war schwierig einen alten Stadkern auszumachen. Die Townhall wirkte historisch verloren in einer Häuserzeile. Frage mich immer wieder, ob die deutsche Luftwaffe ihren Anteil an der Modernisierung solcher Stadtkerne hatte. War ja nicht nur Coventry, wo deutsche Bomben gefallen sind.

England spielt gerade Fußball, gegen wen, weiß ich nicht; sie verlieren, aber das ist alles nicht so wichtig. Besonders aufgeheizt ist die Strasse nicht. An vielen Pubs stehen allerdings stiernackige, kahlrasierte Kerle, die wie der Kapitän einer Fussballmannschaft um den Oberarm eine Binde haben, in der irgendeine Lizenz sie als besondere Prachtexemplare ihrer Art ausweißt. Diese Armbinden betonen noch einmal die Fülle von „gestählten“ Eiweißsträngen.

Die Möwen haben die Stadt auf ihre Art erobert; ihr Lachen übertönt sogar den Strassenverkehr, sie segeln tief, über die Köpfe hinweg. Die weißen Möwen sind gegenüber den gelb-braun-weiß mellierten in der Überzahl und gehen diese auch an.

Ja, da sieht man es …….Rassismus ist etwas ganz natürliches. (ist deshalb trotzdem nicht gut Anm. des Autors)

Ein paar Teenager machen sich einen Spass daraus, die Möwen mit Pommes anzulocken und dann nach Ihnen zu treten. Sie machen keinen Unterschied zwischen den weißen oderr den mellierten.

Im Vorbeigehen sehe ich einen deprimiert ausschauenden, vollbärtigen, älteren Mann vor einem Bier sitzen. Draussen flanieren junge Damen mit Sommerkleidern, er schaut durch sie hindurch; trotzdem scheint er für mich wie ein Ankerpunkt, wie das einzig Vernünftige, das ich gerade aus machen kann.

Irgendwann komme ich in eine zu einem großen Pub umgebauten Brauerei. Hier gibt es keine Türsteher. Das Publikum macht einen bürgerlich gemischten Eindruck. Die Gesichter, ich suche die Gesichter. Sagt mir was!

Der Zug fährt gerade durch Worcester (Wusster), so wie die Soße, die ich noch nie probiert habe.

Es ist anders als zu Hause, im Brauhaus in Hereford….Ich verstehe kein Wort……Es ist wie in einem Film, bei dem jemand, wie in einer Kapsel eingeschlossen, durch ein Menschenmenge schwimmt; muß schwierig sein solche Filme zu drehen. Isolation die doch noch irgendwie kommuniziert, aber das Gefühl gesteigerter Einsamkeit vermittelt. Alle reden, sind zusammen…..die Kamera aber schwimmt wie in einem Uboot durch das alles hindurch.
Ist da etwas zum Andocken? Ich will gar nicht quatschen, höre nach den Wellen des Krachs, den die summierten Gespräche machen; sehe die konzentrierten Gesichter, wenn mal wieder auf das Fußballspiel geschaut wird, was man sich aber eigentlich nicht anschauen möchte. Entweder macht Verlieren keinen Spass oder, hier scheint das Gespräch wichtiger zu sein.

Jetzt ist 8 Uhr. 9 Uhr 46 soll der Zug in London Paddington sein, um 10:37 geht es weiter von St. Pancras nach Dover.

Soll ich mit dem bepackten Fahrrad in der Ubahn rummachen? Sind nur 5 km zwischen den Bahnhöfen, 15 Minuten mit der Metro.

Auf dem Weg zurück zum B&B sehe ich den bärtigen, alten Mann an der selben Stelle vor einem Bier sitzen.

Ich möchte mich nicht aufregen, habe eine Zugbindung…..“Restriction Advised“ steht auf den Fahrkarten. Man muß doch endlich mal cool werden. Das läuft schon irgendwie nach St. Pancras.
Der Regents Park liegt zwischen den beiden Bahnhöfen. Die Orientierung geht mit der Aufgeregtheit einher; da hat sich etwas sehr Unnützes in mir eingenistet, schon so lange und ich habe keine Lust mehr darauf.
Wenn Du es eilig hast, nimm Dir Zeit!

Der alte, bärtige Mann in Herefordshire vor seinem Bier, ein Richtstern in meinem Leben. So einen habe ich schon einmal in Spanien gesehen. 2004 auf der Fahrradtour nach Lissabon, in der Messeta, auf dem Land, in der Nähe von Salamanca, an einem Sonntagmorgen.

Er war glattrasiert, hatte ein ordentlich gebügeltes weißes Hemd an, an einem heißen Tag. Feuchtigkeit kondensierte auf seinem kalten Weisweinglass.

Eine Schirmmütze hatte er auf, so wie der Mann gestern abend in Hereford.

Moreton-in-March heißt der Bahnhof, 8:24, an dem wir gerade halten.

Mindfullness las ich gestern irgendwo zusammen mit Yoga zusammen.
Achtsamkeit, dieser Begriff donnert daheim im Sound der Grundschullehrerin durch die Luft. Die Begrifflichkeit und sein Kontext schrecken ab.

Ich habe es eilig gleich und ich werde mir die notwendige Zeit nehmen.

„We are not in a rush. Not at all!“

Die Landlady in Castlebar, Co. Mayo, Irland hatte ein paar Madonnen und Kruzifixe in ihrem Guesthouse. Sie war unglaublich „well organized“, sprach ein für mich gut verständliches Englisch. Eine Familie aus Indien oder Bangladesh, irgendwo da, war auch bei Ihr untergebracht. Sie flüsterten bei Tisch, während das angebratene Schweifleisch und die Eier an die Tische zum Frühstück gebracht wurde.

Die Landlady war ausgesucht freundlich zu den Menschen mit der stärkeren Hautfarbe……das fiel mir noch ein.

am Bahnhof Charlbury 8:42

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